12 Dimensionen

Ich arbeite seit ca. 14 Jahren mit dieser Methode der Praxisforschung an Freien Waldorfschulen und habe dafür folgende 10 methodische Dimensionen entwickelt, nach denen ein Praxis-Forschungs-Projekt beschrieben, projektiert, durchgeführt und ausgewertet wird:

Bitte beachten Sie auch das Dokument "Praxisforschung: Dimensionen und Elemente" ( 243 KB ).

1. Ziele:

beschreiben den Sinn der geplanten Aktionen sowie die Motive und Absichten der Beteiligten: Warum will ich das? Warum wird das Projekt gemacht? (Motive) Was will ich damit bewirken? Worum geht es mir eigentlich? (Absichten)

Es ist ganz wichtig, die Ziele schon vor Eintritt in das Handeln möglichst klar und differenziert zu erfassen, da an diesen Zielen die späteren Ergebnisse gemessen werden müssen, um dem Anspruch an Forschung zu genügen. Weiterhin ist wichtig, die mögliche Veränderung der Ziele während des Handelns bewusst zu bekommen und zu dokumentieren

Oft erlebe ich, dass Ziele (häufig unbewusst) hinterher dem Ergebnis angepasst werden und dass damit das Ergebnis – je nach Intention – entweder gut geredet oder schlecht gemacht werden kann.

2. Gewünschte Ergebnisse:

Wir legen offen, was erreicht werden soll! Denn immer schwebt den Akteuren schon ein erwünschtes Ergebnis vor, auch wenn es oft nicht bewusst gegriffen und formuliert wird. Hier gibt es immer wieder Widerstände von Menschen, die alles „ergebnisoffen“ halten wollen und Angst haben, durch Offenlegen ihrer Wünsche schon das Ergebnis vorwegzunehmen. Gerade dies ist aber nicht der Fall! Je offener mit diesen Wünschen umgegangen werden kann, desto offener und transparenter wird der Prozess hinsichtlich möglicher Ergebnisse.

Was will ich konkret erreichen? Was soll am Ende dabei herauskommen? Was wird dann sichtbar, fassbar sein?

Ein nächster, sehr wichtiger Schritt für die Planung eines Praxis-Forschungs-Projektes ist die Klärung der Indikatoren, an denen ich die Ergebnisse erkennen kann, und der Kriterien, an Hand derer ich die Ergebnisse bewerten kann. In der Literatur zur Aktionsforschung werden beide Begriffe oft synonym verwendet. Ich trenne die beiden Begriffe, weil bei meinem Ansatz der Praxisforschung

3. Indikatoren:

die Indikatoren die Wahrnehmungsfelder und die Phänomene bezeichnen, auf die ich schaue, die ich wahrnehmen und beobachten kann und muss, um die Entwicklungen, Veränderungen und Ergebnisse zu entdecken. Woran erkenne ich, ob ich etwas erreiche?Wo muss ich hinschauen? Worauf sollte ich achten, aufmerksam sein?

Ein ganz simples Beispiel: bei einer Überprüfung des Verständnisses von Rechenoperationen, sind bei Tests neben den Ergebnissen auch die Aufschriebe des Rechenweges und der Nebenrechnungen wichtige Indikatoren.

4. Kriterien:

Die Bewertung der Ergebnisse erfolgt immer nach Kriterien, die jeder meist implizit oder aber auch bewusst daran anlegt und die direkt mit seinen Zielen und gewünschten Ergebnissen zusammenhängen. Wonach bewerte ich die Ergebnisse in den verschiedenen Wahrnehmungsfeldern? Wann/ wieso betrachte ich/ betrachten andere etwas als gelungen/ nicht gelungen?

Bleiben wir beim simplifizierten Beispiel des Rechnens: Ist mein Ziel „richtige Endergebnisse“, so ist mein Indikator das Ergebnis und mein Kriterium „richtig“ oder „falsch“.

Ist mein Ziel auch die „selbständige Entwicklung des Rechenweges“ so werden neben den Ergebnissen auch „der gewählte Lösungsweg“ und die „Nebenrechnungen“ sowie die dabei „angewandten Methoden“ als weitere Indikatoren hinzukommen  - und dadurch erweitern sich meine Kriterien um z.B. „klar, einfach, umständlich, nachvollziehbar...“

5. Methoden:

Es geht darum, mit welchen Methoden, die unter 7. angedachten bzw. durchgeführten Maßnahmen umgesetzt, ausgewertet und beurteilt werden. Denn für viele Ergebnisse sind nicht die Maßnahmen das Bestimmende, sondern die Methoden des Vorgehens, z.B. des Unterrichtens, der Hospitation, der Gesprächsführung, der Konfliktbearbeitung, der Beteiligung anderer, der Verteilung der Verantwortung, der Willensbildung und Entscheidung etc.

Wie gehe ich bei meinen Aktivitäten, Maßnahmen vor? Bestimmte Aktionen sind nur erfolgreich, wenn sie methodisch angegangen werden z.B. Gruppenarbeit, Gesprächsrunden, Diskussionen… Ich muss wissen, mit welchen Methoden ich arbeiten kann, welche schon gekonnt werden, welche ich noch anlegen und üben muss.

Die rechtzeitige Klärung der Methoden gilt vor allem aber auch für die Auswertungen z.B. mittels Fragebogen, Interviews, Gesprächsrunden, bildhaften und/oder szenischen und/oder interaktiven Methoden etc. Ich muss mir von vornherein klar sein, nach welchen Methoden ich auswerten kann und will, denn unpassende Methoden können das Ergebnis stark verfälschen!

6. Menschen, Beziehungen:

Bestimmend und entscheidend für Verlauf und Qualität des Projektes sind immer die Menschen, die es tun mit ihren Fähigkeiten, Stärken, Schwächen... Jeder Akteur prägt durch seine Individualität, seine Einstellungen und seine Haltungen sowohl seine Handlungen, als auch die Ergebnisse, sowie die Beziehungen zu den anderen Menschen. Sobald mehrere Menschen daran beteiligt sind, spielen die gegenseitigen Beziehungen eine zentrale Rolle und wirken sich auf das Ergebnis aus. Sie können sich gegenseitig verstärken oder behindern: mit wem habe ich dabei wie/ auf welche Weise zu tun? direkt/indirekt? Wer ist wie abhängig von mir? Von wem bin ich wie abhängig?

7. Maßnahmen:

Wenn es konkret werden soll, sind Handlungen, Aktivitäten, Maßnahmen notwendig, die ich vorher planen kann und muss, andere werden spontan im Verlauf des Handelns sich ergeben bzw. erforderlich sein. Die Maßnahmen sind das Feld der zu erforschenden Tätigkeiten, die zu Ergebnissen führen. Was tue ich konkret mit wem, wo, wie, wie lange?

Hier ist besonders wichtig, dass vor lauter „Tun“ nicht vergessen wird, das Ausgeführte auch zu beschreiben und zu dokumentieren, damit es für andere nachvollziehbar wird. Gerade Lehrer neigen dazu, in der Handlung aufzugehen und das, was sie tun, für selbstverständlich zu halten bzw. sich so stark am Ergebnis zu orientieren, dass sie den Prozess dahin nicht so wichtig nehmen und nicht aufzeichnen. Für die Forschung muss aber belegt werden können, was? wie? von wem? wann? wie lange? warum? gemacht wurde.

8. Zeitrahmen, Zeitgestalt:

Meist ist der Zeitrahmen vorgegeben oder er ergibt sich aus dem Projekt selbst. Auf jeden Fall muss er in einem Zeitplan beschrieben werden. Bei der Planung der Maßnahmen entsteht damit eine Zeitgestalt, die einen definierten Anfang und ein konkret gestaltetes Ende haben sollte. Je nach Dauer des Projektes ist es sinnvoll, mehrere Zwischenziele zu definieren, an denen bestimmte Ergebnisse erreicht werden sollen und in einer Zwischenauswertung evaluiert werden. Dadurch ergibt sich eine Gliederung der Zeitgestalt in verschiedene Phasen mit bestimmten Zwischenergebnissen an sog. „Meilensteinen“ und einem Ende mit einer Gesamtauswertung.

9. Mittel, Ressourcen:

Schon bei der Planung der Maßnahmen empfiehlt es sich, auch an die Mittel zu denken, die dabei eingesetzt werden sollen/müssen, also z.B. Räume, Menschen, Zeitaufwand, finanzielle Mittel, Sachmittel, Maschinen oder Geräte, andere Hilfsmittel, Rohstoffe, Halbfertigprodukte etc. aber auch das Lern- und Forschungstagebuch, Dokumentation, Portfolio, Gespräche, Emails, Protokolle, Audio und Video-Aufzeichnungen, Berichte......

Was brauche ich an Ressourcen wie z.B. Zeit, Raum, Geld, Material, Personal ..., um die Maßnahmen überhaupt durchführen zu können? Wer stellt mir diese zur Verfügung? Was muss ich dafür tun? (Anträge, Berichte...) ggfs. einen Finanzplan erstellen.

10. Voraussetzungen

Für jedes Projekt gibt es sowohl für den Forschenden selbst als auch für die anderen Beteiligten bestimmte innere und äußere Voraussetzungen, damit das Projekt überhaupt durchgeführt werden und gelingen kann. Das umfasst auch alles, was vor Beginn des Projektes erledigt, geschafft werden muss, um starten zu können.

11. Bedingungen

Weiterhin gibt es verschiedene Bedingungen, dieich entweder nicht verändern kann und deshalb beachten muss (wie z.B. Gesetze, Verordnungen, Normen, Leitbilder, Regeln, Vereinbarungen, Möglichkeiten, Restriktionen...) oder die ich erst verändern müsste, um das Projekt erfolgreich durchführen zu können sowohl im System selbst als auch von außen gesetzte, die für das Projekt zu beachten sind, weil sie einerseits Chancen und andererseits auch Einschränkungen bewirken können.

12. Dokumentation

Keine Forschung ohne Dokumentation! Von Anfang an muss ich meine Fragen, meine Erfahrungen, meine Ergebnisse festhalten und dokumentieren. Das mag manchem sehr aufwändig erscheinen, muss es aber in der Praxis nicht sein. Wenn ich mir zur Regel mache, alles zu dem Projekt Gehörige - d.h. meine Gedanken, Überlegungen, Fragen, aber auch meine Tätigkeiten, Erfahrungen, Erlebnisse, Ergebnisse etc. - laufend wenigstens in Stichworten schriftlich zu fixieren, d.h. möglichst zeitnah in mein Forschungs- bzw. Lerntagebuch einzutragen, können dafür täglich 10-30 min genügen. Diese Zeit ist gut angelegt, denn sie hilft mir, mich immer wieder aus der Tätigkeit herauszulösen und mein Handeln zu reflektieren, meinen Standpunkt zu klären. Außerdem lege ich damit schon die Grundlagen meiner Dokumentation, indem ich meine Aufzeichnungen durch Dokumente, Bilder, Fotos etc. ergänzen kann.

Arbeitsblatt für die pädagogische Praxisforschung - Die 12 Dimensionen eines Praxisforschungsprojektes - Fragen zur Klärung im Vorfeld (221 KB)

Praxisforschung - Fragen zur Dokumentation - Wie dokumentiere ich ohne großen Zeitaufwand? (130 KB)

Word-Vorlage: Arbeitsblatt für die pädagogische Praxisforschung (107 KB)