Die Veränderung der Lehrerrolle

Auch beim selbstverantwortlichen Lernen ist die Aufgabe des Lehrers nach wie vor – ja sogar noch mehr als beim „klassischen“ Lernen – für die schon genannten vier Sicherheiten zu sorgen und auf dieser Grundlage altersgerecht - auf die jeweilige Klassen-Situation abgestimmt - geeignete Lernräume für die Schüler zu eröffnen und zu gestalten. Gerade hier bietet die Waldorfschule besondere Möglichkeiten, da sie dem einzelnen Lehrer sehr viele Freiheiten in der Gestaltung seines Unterrichtes gibt. Der Lehrer muss gerade beim selbstverantwortlichen Lernen (nach wie vor!) seine zentrale Rolle als Bezugsperson, als ordnendes, gestaltendes und Raum gebendes Bewusstsein, als „Tor zur Welt“ sowohl für die Inhalte als auch für die Methoden besonders bewusst ergreifen und gestalten, ohne die Schüler damit zu unterfordern oder zu überfordern. Was jedoch neu ist: Er muss dabei immer im Bewusstsein haben, dass er die individuellen Lernprozesse der Schüler nur anregen und begleiten, aber nicht bestimmen kann. So erweitert sich seine Rolle vom Belehrenden zum Lernbegleiter und Gestalter von Lernbedingungen und Lernmöglichkeiten, die die Schüler selbst eingreifen dürfen.

Es ändert sich damit aber auch seine Verantwortung!

In der „klassischen“ Lehrerrolle ist der Lehrer für alles, das heißt sowohl für die Rahmenbedingungen als auch für die Inhalte, die Methoden und den Prozess des Lernens verantwortlich sowie für die Ergebnisse. Er wird von Eltern und Schülern in zunehmendem Maße auch aktiv in diese Verantwortung hineingezwungen. Aber wehe, er nimmt diese Rolle an! Es ist aussichtslos, diese Erwartungen erfüllen zu können! Letztlich führt das auch in den Waldorfschulen immer mehr dazu, dass die Schüler sich von den Lehrern bedienen lassen, die Lehrer immer schuld sind, wenn die Schüler zu wenig lernen, die Lehrer die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Schüler durch die Prüfungen kommen etc.

Im selbstverantwortlichen Lernen wird also der Lehrer immer mehr zum Gestalter der Inhalte, der Methoden, der Lernräume und der Lernbedingungen sowie zum Lern-Begleiter der Lernprozesse der Schüler, die diese selbst ergreifen dürfen. Er ist verantwortlich für die vier oben genannten Sicherheiten und lässt – jeweils altersgemäß – einen Teil der Verantwortung für das Arbeiten und das Lernen beim Schüler bzw. überträgt dem Schüler wieder mehr Verantwortung dafür, soweit das schon verloren gegangen sein sollte. Das sollte behutsam und schrittweise geschehen, damit nicht durch den Wechsel der eingeübten Rollen wieder neue Unsicherheit entsteht. So habe ich gerade bei Oberstufenschülern erlebt, dass sie sich gegen die Übernahme von mehr Verantwortung wehren, da sie Angst haben, es nicht zu können, Nachteile befürchten und auch, weil es so wie bisher viel bequemer ist, weil die Schuld ja immer auf den Lehrer geschoben werden kann. Auch die Eltern suchen heutzutage in der Regel die Schuld lieber beim Lehrer als beim eigenen Kind. Alle übersehen dabei aber, dass die „Schuld“ für die auftretenden Probleme eigentlich bei den Lernbedingungen und der Rollenverteilung liegt.